Muss man für einen Gerichtstermin Urlaub nehmen?

Muss man für einen Gerichtstermin Urlaub nehmen?

    Oft rufen mich Mandanten an und stellen die simple Frage: „muss ich für den Gerichtstermin eigentlich Urlaub nehmen?“.

    Erwartet wird in der Regel ein klares JA oder NEIN.

    Im Kopf des Rechtsanwaltes läuft aber das Folgende ab.

    In der einfachen Frage stecken eigentlich zwei Fragen.

    Zum einen stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitnehmer für die Teilnahme an einem Gerichtstermin freizustellen. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer für die Dauer der Freistellung seinen Vergütungsanspruch behält.

    1. Muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für die Teilnahme an einem Gerichtstermin freistellen?

    Ist der Arbeitnehmer vom Gericht als Zeuge geladen, ist der  Arbeitgeber in jedem Falle verpflichtet, den Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen. Der Arbeitnehmer muss insoweit keinen bezahlten oder unbezahlten Urlaub beantragen.

    Bundesarbeitsgericht (BAG), 13. 12. 2001 – 6 AZR 30/01

    “Die Pflicht, vor Gericht als Zeuge zu erscheinen und auszusagen, hat Vorrang vor jeder Berufspflicht und befreit daher auch von der Arbeitspflicht, soweit sie zeitlich mit dieser zusammentrifft…”.

    Ob das uneingeschränkt so auch gilt, wenn der Arbeitnehmer  Kläger oder Beklagter, also am Rechtsstreit als Partei beteiligt ist, wurde bis dato noch nicht entschieden. In jedem Fall wird aber von einem Anspruch auf Freistellung  dann auszugehen sein,  wenn der Arbeitnehmer in dem Verfahren nicht anwaltlich vertreten ist. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer für die Prozessvertretung zwar einen Rechtsanwalt oder Beistand beauftragt hat, dass Gericht aber das „persönliche Erscheinen“ des Arbeitnehmers angeordnet hat. Ist der Arbeitnehmer dagegen durch einen Rechtsanwalt vertreten, und hat das Gericht nicht angeordnet, dass der Arbeitnehmer persönlich zum Verhandlungstermin erscheinen muss, dann dürfte nach unserer Auffassung kein Anspruch auf Freistellung bestehen. Dann bliebe dem Arbeitnehmer nur, wenn er unbedingt dabei sein möchte, Urlaub zu beantragen und abzuwarten, ob dieser genehmigt wird.

    2. Hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Vergütung, obwohl er wegen der Teilnahme an einem Gerichtstermin nicht gearbeitet hat?

    a) Nimmt der Arbeitnehmer als Zeuge an einem Gerichtstermin teil, hat er einen Anspruch darauf, dass ihm die Unkosten, die ihm durch seine Teilnahme am Gerichtstermin entstanden sind, erstattet werden. Hierzu zählt auch der Verdienstausfall. Da der Arbeitnehmer insoweit einen Entschädigungsanspruch hat, ist der Arbeitgeber nicht zur Entgeltzahlung für die Dauer des Fernbleibens verpflichtet. (Das Formular, mit welchem der Zeuge den Antrag auf Entschädigung gegenüber der Gerichtskasse stellen kann, wird vom Gericht in der Regel mit der Ladung zum Zeugenvernehmungstermin übersandt. Wichtig ist, dass der Zeuge sich die Uhrzeit des Endes seiner Vernehmung vom Richter/in auf dem Entschädigungsformular bestätigen lässt.)

    b) Nimmt der Arbeitnehmer als Kläger oder Beklagter, also als Partei an einem Rechtsstreit teil, kann er den durch die Teilnahme am Gerichtsverfahren entstandenen Verdienstausfall in der Regel vom Gegner erstattet verlangen, wenn er den Rechtsstreit gewinnt. Bedeutsame Ausnahme hiervon ist das arbeitsgerichtliche Verfahren der ersten Instanz. Hier hat die obsiegende Partei keinen Anspruch auf Erstattung des Verdienstausfalls gegenüber der unterlegenen Partei.

    Immer dann, wenn die Möglichkeit besteht, den Verdienstausfall beim Prozessgegner im Rahmen der Kostenfestsetzung festsetzen zu lassen, die Kosten antragsgemäß festgesetzt werden und vom Gegner hierauf auch eine Zahlung erfolgt, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber.

    In den Fällen, in denen der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Erstattung eines Verdienstausfalls gegenüber dem Prozessgegner hat (beispielsweise im arbeitsgerichtlichen Verfahren, oder dann, wenn er den Rechtsstreit verloren hat) ist der Arbeitgeber grundsätzlich (es gibt also Ausnahmen) dazu verpflichtet, das Arbeitsentgelt auch für die Zeiten zu bezahlen, in denen der Arbeitnehmer aufgrund notwendiger  Teilnahme an einem Gerichtstermin nicht gearbeitet hat. Das regelt § 616 BGB. (zu den Ausnahmen hiervon weiter unten!)

    Entschieden wurde dies vom Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 02. Dezember 2009 – 5 Sa 710/09.

    „Die Wahrnehmung von Terminen bei Gericht stellt einen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund im Sinne des § 616 Satz 1 BGB dar, jedenfalls dann, wenn das Gericht in einem dem Arbeitnehmer selbst betreffenden Verfahren das persönliche Erscheinen des Arbeitnehmers angeordnet hat.“

    Die Arbeitgeberseite hat gegen dieses Urteil beim Bundesarbeitsgericht zwar Revision eingelegt, es aber offensichtlich versäumt, diese rechtzeitig zu begründen. Das Bundesarbeitsgericht konnte somit über diese bedeutsame Frage nicht entscheiden.

    Allerdings hätte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts anders ausgesehen, wenn der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag geregelt hätte, dass § 616 BGB auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet. Gleiches kann auch in einem für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag geregelt sein. Dann bestünde nämlich kein Anspruch auf Vergütung.

    Weitere Ausnahme: Ein Vergütungsanspruch besteht auch nicht in Fällen, in denen der Arbeitnehmer aufgrund eigenen Verschuldens an einem Gerichtstermin teilnehmen musste. Dies wird in aller Regel dann anzunehmen sein, wenn er an einer Verhandlung vor dem Strafgericht als Angeklagter teilnehmen muss und verurteilt wird.

    Einfache Frage – soviel Antwort.

    Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht